Die Italienerin


Schon als ich als Kind und Teenagerin in Italien war, wollte ich immer gerne Italienerin sein. Ach, sie waren immer sooo schööön, so chic, so charmant, so lässig, hatten so lange tolle Haare, waren sooo braun, fuchtelten so beeindruckend mit den Händen, wenn sie sprachen. Einfach beneidenswerte Geschöpfe, Grazien, Göttinnen!


Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher. Wenn ich so die Situation der Frau in Italien sehe, bin ich verwirrt. Einerseits wirken die Italienerinnen so wahnsinnig selbstbewusst, andererseits haben sie in dieser Machogesellschaft tatsächlich nicht viel zu sagen. Wenige Frauen sind im Parlament, noch weniger im Top-Management, im europäischen Vergleich hat Italien die niedrigsten Rate an Frauen, die arbeiten. Nur auf Malta sind noch weniger Frauen berufstätig. Gleichzeitig schuften sie viel, weil sie in Italien quasi den Sozialstaat ersetzen und sich um Alte, Kranke und Kinder kümmern.

Und dann dieser Schönheitsterror. Klar, von nix kommt nix. Um immer so perfekt und aus dem Ei gepellt zu sein, muss man halt auch die entsprechende Aussehensarbeit leisten. Die Italienerin, die auf sich hält, geht regelmässig ins Schöhnheitsstudio zur Gesichtsbehandlung ("pulizia de viso") und natürlich zur "ceretta" (Enthaarung mit Wachs). Einmal die Woche geht man zur "piega" und lässt sich beim Friseur die Haare ordentlich machen. Das geht, denn in Italien auf dem Land kostet das nur 10 Euro (In der Schweiz zahlt frau für "Waschen und Legen" 40 Franken und lässt es natürlich sein.). Für den richtigen Friseurtermin muss frau dagegen schon mal 3 Stunden Zeit mitbringen. Schliesslich muss man sich auch noch um Farbe, "Colpi di sole" (Strähnchen) und Keratin-Aufbauende Anti-Age Haarmaske kümmern. Zwischen den Friseurbesuchen läuft in italienischen Haushalten das Glätteisen (la piastra) auf Hochtouren und  sorgt dafür das die Sicherungen rausfliegen. Dieses Phänomen ist so verbreitet, dass sogar der nationale Liebelingskomiker Fiorello darüber spricht.
Maniküre, Pedikure...sowieso. Solarium zum Aufbau oder Erhalt der "bella bronzatura"...aber sicher! Das ist sozusagen das absolute Minimum, ohne das frau nicht auf die Strasse geht.



Wenn man sich dann noch die Listen der möglichen Behandlungen der Schönheitsinstitute anschaut wird einer Nordeuropäerin schwindelig. Da gibt es die Papaya Maske, die Vitamin C Behandlung, die Oxy Therapie, die Koffein Umschläge gegen Cellulite, die Enthaarung mit pulsierendem Licht, die Thermaldusche, die Anti-Age Lippenbehandlung mit Retinol usw. usw. usw. Damit man mir das glaubt, habe ich das "listino" aus dem Schönheitsinstituts, das an mein Lieblingsfreibad angegeliedert ist, mal mitgenommen:
(By the way, ich finde ja immer noch, dass Schönheitssalons in Freibädern eine echte Marktlücke für deutsche oder schweizer Freibäder wären...)




Mamma mia! Und was das alles kostet! 
Wenn man da mitmachen will, hat man ja gar keine Zeit Karriere zu machen oder eine politsche Revolution (die eigentlich bitter nötig wäre) anzuzetteln! Natürlich sind nicht alle Italienerinnen dem Schönheitswahn verfallen, aber es ist auch nicht leicht sich dem zu entziehen und es vermittelt eben doch insgesamt ein Frauenbild, dass nicht gerade emanzipert ist.

Dann muss frau sich natürlich intensiv um ihren Körper kümmern. Dazu geht man in die Palestra und macht Gewichte, Yoga, Zumba und Pilates....oder man geht gleich zum Chirurgen. Das dieser Gang in Italien weit verbreitet ist, sieht man schon wenn man einmal länger als eine paar Minuten italienisches Fernsehen sieht.

Dort gibt es das bizarre Pänomen der "Velina": spärlich gekleidetet sehr junge Frauen bevölkern dort die Fernsehshows und vermitteln den Eindruck, dass Frauen dumm, schön und sexy sein müssen und sonst gar nichts. Der Dokumentfilm "Il Corpo delle Donne" zeigt das auf schonungslose und schockierende Weise: http://www.ilcorpodelledonne.net/documentario/

Von der nationalen Obession mit schönen Schuhe und Klamotten brauche ich wohl gar nicht erst anfangen. Ausserdem ist das eine Leidenschaft, die ich, zumindest teilweise teile. Mein persönlicher Stylingstandard hat sich durch das Jahr in Rom definitiv stark gesteigert. Man übernimmt das automatisch. Schon nach wenigen Wochen in Rom konnte ich es mir z.B.  nicht mehr vorstellen, ohne Armbänder, auf die Schuhe abgestimmte Gürtel und ordentlichen Lidstrich aus dem Haus zu gehen. In Rom ist man einfach von so viel stylischen Frauen und so viel sonstiger Schönheit umgeben, dass man das Spiel automatisch mitmacht.

Mein Lieblingsbeispiel ist immer wieder das Bikiniphänomen: In unserem Stamm-Strandurlaubsort gibt es einen interessanten Mix aus deutschen und italienischen Familien. Die deutschen Urlauberinnen haben dort ca. 2-3 Bikinis dabei. Meine italienischen Freundinnen bringen es auf bis zu 20 costumi und haben - naturalmente - noch die farblich passenden Pareos und Flip-flops dazu. Ich habe mich angepasst und reise inzwischen mit 8 Bikinis an.

Insomma, meine Faszination und meine Bewunderung für die Italienerin ist ungebrochen und ich habe viel davon gelernt. Denn es macht ja schon Spass viele Bikinis zu besitzen. Trotzdem bin ich froh über meine deutschen Wurzeln, die mir einfach die Freiheit geben nicht immer und um jeden Preis eine bella figura machen zu müssen.

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