Die Bilanz
Als wir in
unserem Umfeld verkündeten, dass wir ein Jahr nach Rom gehen, waren die
Reaktionen eher positiv. Aber vor allem die Grosseltern waren sehr besorgt
darüber, ob die Kinder diese radikale Veränderung gut verkraften würden.
Auch für
uns war das die grösste Sorge. Man weiss ja nie, wie Kinder auf Veränderungen
reagieren. Dass uns Eltern ein Jahr in Rom gut gefallen würde, war ja klar.
Aber für die Kinder war die Herausforderung eigentlich grösser. Für sie ist ein
Jahr ein sehr viel längerer Zeitraum. Erwachsene wissen, wie schnell ein Jahr
um ist. Unsere Kinder mussten die Schule, ihre Freunde und ihr gewohntes Umfeld
verlassen. Vor allem unser jüngerer Sohn Francesco konnte sich das alles nicht so recht
vorstellen. Er nutzte den count-down bis zum Umzug aber dafür, um Dinge zu
verschieben: „Schuhebinden lerne ich, wenn wir in Rom sind.“
Unserer
Grosser, Emilio, konnte dagegen schon eine Liste aus Freude (Italien ist schön, das
Essen ist toll, es ist aufregend) und Ängsten (neue Sprache lernen, Freunde
verlassen, neue Freunde finden, neue Schule anfangen) machen.
Wir wussten
von einem früheren Schulwechsel und von unserem Umzug von der Deutschschweiz in
die Westschweiz, dass Emilio Veränderungen nicht so gut verträgt. Und doch hat
er uns, als wir dann da waren, am meisten überrascht. Kaum waren wir
angekommen, kam er uns vor wie ein Fisch im Wasser. Es machte ihm Spass,
Italienisch zu lernen. Er liebte das Essen, er konnte endlich immer und überall
singen und tanzen und hatte damit grossen Erfolg. Uns wurde klar: die
italienischen Gene in ihm waren doch ausgeprägter als wir geahnt hatten.
Francesco
war den Sommer über dagegen recht quengelig, unzufrieden und widerborstig. Er
hat uns öfter zur Weissglut gebracht. Nachdem die Schule angefangen hatte und
er die ersten Freunde fand, wurde das besser. Und spätestens als er ab
Weihnachten fliessend Italienisch sprach, hatte auch er es geschafft.
Als es dann
darum ging, dass wir bald wieder zurück mussten, wollte Francesco lieber in Rom
bleiben. Er hatte Angst, dass er nicht mehr so gut Französisch könnte. Da er
noch klein ist, hatte er auch seine Freunde in Lausanne ein bisschen vergessen
und wusste, dass er seinen römischen Busenfreund Valerio vermissen würde.
Insgesamt
hat uns dieses Jahr in Rom als Familie unglaublich zusammengeschweisst. So ein
Abenteuer zusammen zu erleben, ist etwas ganz Besonderes. Ich kann es nur allen
empfehlen. Es ist ein gewisser finanzieller und organisatorischer Aufwand damit
verbunden, aber die Ergebnisse waren all das mehr als wert.
Wir haben
so viel gelernt und erlebt.
Gelernt
habe ich, dass es keinen Sinn hat, bei so einem Aufenthalt alle die Bücher
mitzunehmen, die man immer schon mal lesen wollte. Warum sollte ich die
Biographie von Nelson Mandela lesen, wenn ich zu gleichen Zeit mit dem Radl auf
die Via Appia Antica fahren kann oder bei einem Cappuccino im Oppio Café auf
das Kolosseum schauen kann?! Das macht keinen Sinn. Nelson muss auf lange
Winterabende in der Schweiz warten.
Ausserdem
haben wir z.B. gelernt:
- dass es mal sieben römische Könige gab,
- dass die Römer alles mit Marmor verkleidet hatten und dieser Marmor später von den Päpsten und römischen Adligen gnadenlos für deren Prachtbauten (Petersdom, Palazzi etc.) benutzt wurde.
- was eine „condamnatio memoria“ ist. Diese Strafe gab es z.B. für Nero. Um ihn aus dem Gedächtnis der Menschen für immer zu verbannen, wurden alles seine Spuren in der Stadt (z.B. Statuen und Inschriften) vernichtet.
- dass es für Frauen im alten Rom doch am schlauesten war, eine jungfräuliche Vestalinnenpriesterin zu werden, wenn sie wenigstens ein paar Bürgerrechte haben wollte. Doof war es nur, wenn es mit der Jungfräulichkeit nicht klappte. Dann wurden die Damen nämlich eingemauert und mussten verhungern. Anders durfte man sie nicht töten, da ihr Blut heilig war… Na prima!
- wo die besten Eisdielen Roms sind und welche Sorten bei welcher am besten schmecken (z.B. Pistazieneis bei Grancchi in Prati).
- wo man am besten zum Shoppen geht.
- Und vieles, vieles mehr
Als bekennender control freak liebe
ich es, Pläne zu schmieden. In Rom habe ich gelernt, sehr viel kurzfristiger zu planen.
Man kann das in Rom auch kaum anders machen, da man nie weiss, wie lange die
Dinge dauern, ob der Bus kommt, ob es Streiks gibt, ob der Ehemann/frau rechtzeitig
nach Hause kommt etc.. Dafür muss man zwar ca. 20-mal hin und her telefonieren, aber
am Ende klappt doch meistens alles. Und es ist irgendwie spannender.
Ich hätte
nicht gedacht, dass uns Rom so einfangen würde. Wir wussten ja schon immer,
dass es eine tolle Stadt ist. Aber der qualitative Sprung vom touristischen
Besuch zum dort Leben ist der reine Wahnsinn. Schon in den ersten Wochen sind
wir quasi mit einem schmerzhaften Dauergrinsen durch die Gegend gelaufen.
Überall
wurden wir sehr freundlich aufgenommen und fühlten uns quasi sofort wie zu
Hause. Wenn wir von Arbeitstrips zurückkamen, waren mein heldenhafter Mann und
ich immer total glücklich und erleichtert wieder in Rom zu sein.
Heimatgefühle
eben.
Und wir sind nicht die Einzigen, die sich in Rom sofort heimisch gefühlt haben. Auch der SZ-Redakteur Stefan Ulrich beschreibt in seinem Buch "Arrividerci, Roma" diesen Effekt der magischen Anziehungskraft Roms. Inzwischen habe ich sogar eine kulturhistorische Erklärung für dieses Phänomen gefunden: Schon in in der römischen Antike war Rom ein kosmopolitischer Schmelztiegel, der alle mit offenen Armen aufgenommen hat. Caput mundi, eben! Das New York der alten Welt. Lange Zeit gab Religionsfreiheit und selbst Underdogs, wie Sklaven, hatten eine gewisse Hoffnung es zu schaffen. Es gab Tempel der Isis, okkulte Mitras-Riten aus Persien, den Fruchtbarkeitskult der Kybele aus Kleinasien und viele mehr. Und man konnte sogar als Schwarzer Kaiser werden.
Es gibt sogar ein Sprichwort für dieses Gefühl: "Roma patria communis. Matrenga nun fu mai a nessuno."
Das heisst so viel wie: Wir sind alle Kinder Roms. Mamma Roma ist für uns alle da.
Und wir sind nicht die Einzigen, die sich in Rom sofort heimisch gefühlt haben. Auch der SZ-Redakteur Stefan Ulrich beschreibt in seinem Buch "Arrividerci, Roma" diesen Effekt der magischen Anziehungskraft Roms. Inzwischen habe ich sogar eine kulturhistorische Erklärung für dieses Phänomen gefunden: Schon in in der römischen Antike war Rom ein kosmopolitischer Schmelztiegel, der alle mit offenen Armen aufgenommen hat. Caput mundi, eben! Das New York der alten Welt. Lange Zeit gab Religionsfreiheit und selbst Underdogs, wie Sklaven, hatten eine gewisse Hoffnung es zu schaffen. Es gab Tempel der Isis, okkulte Mitras-Riten aus Persien, den Fruchtbarkeitskult der Kybele aus Kleinasien und viele mehr. Und man konnte sogar als Schwarzer Kaiser werden.
Es gibt sogar ein Sprichwort für dieses Gefühl: "Roma patria communis. Matrenga nun fu mai a nessuno."
Das heisst so viel wie: Wir sind alle Kinder Roms. Mamma Roma ist für uns alle da.
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