Tiziano ed Io
Natürlich
kannte ich Tiziano Ferro schon vor unserem Romaufenthalt. „Perdono“ war
schliesslich ein Welthit …und das ist 10 Jahre her. Kurz gesagt, ich kannte
Tiziano nicht wirklich. Ach ja, halt, dass er 2009 sein coming-out gewagt hat,
hatte ich auch noch mitbekommen. Ich hatte aber keine Ahnung wie dramatisch so
etwas für einen italienischen Pop-Sänger und Frauenschwarm tatsächlich ist (siehe
mein Post über Coming-out alla Italiana).
Dann empfahl
mir meine charmante Italienischlehrerin Marzia, Tizianos Texte zu studieren,
weil man damit ganz gut den vertrackten Congiuntivo lernen könnte. Ich weiss
es noch wie heute: an einem trübern Dezembertag im Zug nach Viterbo dachte ich
an Marzias Rat und schaute mal, was gerade auf Youtube so von Tiziano zu finden
war. Und ich fand: „L’ultima Notte sul Mondo.“ Ich kriegt sofort Gänsehaut und
mir stiegen die Tränen in die Augen.
(Tolles Video. Etwas dreist nur diese Autowerbung am Anfang und gegen
Ende taucht in der Berghütte plötzlich für eine Sekunde eine Amaretto di
Saronno Flasche auf dem Tisch auf. Das nenne ich gerissenes Product Placement!!
Ich würde gerne mal wissen, was Tiziano dafür so kriegt…)
Das ist der
Effekt den viele Lieder von Tiziano auf mich haben. Von da an war es um mich
geschehen. „L’ultima Notte“ hörten mein heldenhafter Mann und ich von da an ca.
100 mal am Tag und wir wurden nicht müde davon. Ja, ich hatte meinen Mann mit
dem Tiziano-Virus infiziert und das will was heissen, weil wir musikalisch oft
nicht auf einer Wellenlänge sind.
Dann meinte
meine charmante Italienischlehrerin, dass sie immer bei „Ero Contentissimo“
weinen müsste. Kaum hatten wir dieses Lied gehört, lief es bei uns in der Endlosschlaufe.
Nach „Contentissima“
kam „Sere Nere“ als Kultlied und danach – unvermeidlich „Non me lo so spiegare“
und blieb es den ganzen Sommer über. Und derzeit ist es für mich „La paura
che“.
Nach und
nach erfuhr ich immer mehr über Tiziano. Als Jugendlicher hat er in seiner
Heimatstadt Latina in einem Gospelchor gesungen. Das hört man heute noch in
manchen Liedern. Und vielleicht sind die meisten seiner Songs deshalb eher
traurig. Es geht ziemlich oft um das Ende einer Liebe oder darum, dass man
irgendwie anders ist als die anderen. Vor seiner steilen Pop-Karriere hat
Tiziano mal 111 Kilo gewogen. Seine 2. Platte heisst deshalb auch
„centoundici“. Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen und im Internt
findet man genau ein sehr verschwommenes Foto von TZN im dicken Zustand. Er sagt
selbst heute noch (in seinem Buch), dass er essgestört ist und in dem Lied „Mai
nata“ setzt er sich mit den nächtlichen Fressattacken vor dem Kühlschrank
auseinander. Trotzdem ist das ein schönes und grooviges Lied. Mit den Gefühlen,
die er in seinen Liedern beschreibt, können sich viele Menschen identifizieren.
Und dafür lieben sie Tiziano.
Kurz und
gut, Tiziano gehört inzwischen zur Familie. Wir haben alle ersten vier CD’s
gekauft und wir überhören uns auch alle vier nicht daran. Emilio ist eh immer
schon der Held im Texteverstehen und Auswendigkönnen und singt immer mit. Er
mag am liebsten „Centoundici“. Francesco mag am liebsten „Rosso relativo“.
Ich bin
noch immer betrübt darüber, dass wir nicht auf Tizianos Konzert gehen konnten,
weil wir schon im Urlaub auf Sizilien waren, als er in Rom im Olympia Stadium
auftrat.
Nicht
einmal als Teenagerin habe ich je für einen Musiker in dem Ausmass geschwärmt
wie für Tiziano. Meinem heldenhafter Mann ist meine kindliche Begeisterung
etwas peinlich. Vermutlich hat er Recht, aber ich habe Spass daran, mich wie
ein 13-jährer Teeni zu fühlen.
Aber natürlich kann man sich auch über Tiziano lustig machen...Die Jungs von HMATT machen das so sympathisch, dass ich ihnen verzeihe.
https://www.youtube.com/watch?v=rbHVwon4hcc&index=29&list=PLrx_9rXfjHF1QQ0OadwlsnhKeBRfB7pMr
Und 2015 war es dann endlich soweit. Tiziano ging wieder auf Tour und ich habe sofort die Tickets für sein Konzert im Stadio Olimpico in Rom gekauft.
Das war ein Erlebnis. Schon allein das historische Stadium ist echt Kult. Wir hatten Sitzplätze und es war sehr lustig zu beobachen, als ein Rudel Frauen vom Lande ankam und erstmal die Sitzschalen mit Feuchttüchern reinigten.
Und dann ging es los und wir haben alle mitgesungen. Wirklich sehr ergreifend: emozionante, wie die Italiener sagen. Eins meiner Lieblingsworte! Tiziano ist ein echter Bühenprofi und hat die Massen voll im Griff. Die Nacht war warm. Die Atmosphäre magisch.
In somma, ein unvergessliches Erlebnis.
Genauso unvergesslich war das Chaos nach dem Konzert. Alle Strassen, Plätze und Brücken vor dem Stadium waren mit Autos verstopft. Es fuhr kein Bus. Nichts ging mehr. Unsere Freunde, mit denen wir da waren, haben mit dem Auto 2 Stunden gebraucht, um heim zu kommen.
Wir sind zu Fuss in Richtung Vatican getrackt. Nach einer halben Stunde Marsch haben wir endlich eine Tram gefunden, die uns in Richtung unserer Wohnung brachte.
So ist das in Italien: Zuerst hat man wunderbare emotionale Erlebnisse und dann muss man sich durch eine Realität kämpfen, die nicht funktioniert. Irgendwie ist das nevig, aber irgendwie ist es auch aufregend.
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