Die Schulsuche

Im Februar 2011 zog ich los, um meinen Kindern eine Schule in Rom auszusuchen. Und das Abenteuer begann..

Wir wussten, dass der Verkehr in Rom tödlich ist und dass man unter allen Umständen lange Anreisewege zwischen Schule und Wohnung vermeiden musste. Also, war die Strategie: erst die Schule suchen, dann die Wohnung.

Zunächst dachten wir, dass eventuell eine Privatschule der einfachere Weg für unsere Kinder sein könnte und haben entsprechend recherchiert. Internationale Privatschulen gibt es einige in Rom, davon sind die meisten nur bezahlbar, wenn man entweder reich ist oder das Schulgeld vom Arbeitgeber übernommen wird.

Es blieben also folgende Schulen übrig:

  • Die Schweizer Schule: ganz ok, aber kein Französischunterricht und ob unsere Kinder da so gut Italienisch lernen?
  • Die französische Schule: Schön, gross, guter Ruf, lange Warteliste, teuer, zu grosse Klassen, super unfreundlich am Telefon und Emilio müsste vorher einen Test machen. No merci!
  • Eine italienisch-englische Schule weit hinter dem Bahnhof: Kein Platz und kein Französisch, teuer.
  • Die deutsche Schule: Kein Französisch, weit draussen. Und unsere Kinder waren nie in einer deutschen Schule und gehen auch nach Rom wieder in eine französischsprachige Schule. Auch nix.
  • Eine italienische katholische Privatschule, die keine Kinder wollte, die kein Italienisch sprachen. Bo!

So kamen wir auf die öffentlichen italienischen Schulen. Ende Januar 2011 hatte ich zufällig in einem Kinderbuch über Italien gelesen, dass man an den öffentlichen italienischen Schulen die Wahl hat zwischen einem orario corto und einem orario lungo. Bei der langen Schulwoche haben die Kinder jeden Tag bis 16.30 Uhr Schule, bei der kurzen Woche nur an zwei Tagen und sonst bis 13 Uhr. Dafür haben die Kinder mit der langen Woche auch keine Hausaufgaben. Prima, so haben wir noch Zeit, damit die Jungs am Nachmittag Französischunterricht nehmen können.

Wir fragten in unserem italienischen Bekanntenkreis herum und hörten Meinungen, die uns nicht weiter halfen: „Die italienischen öffentlichen sind eine Katastrophe. Eure armen Kinder!“, „Kein Problem, die italienischen öffentlichen Schulen sind viel besser als die Schweizer.“

Die nächste Herausforderung, war es eine öffentliche Schule in Rom ausfindig zu machen. Wie recherchiert man öffentliche Grundschulen?
Mit grosser Überwindung ging ich auf die Website des italienischen Bildungsministeriums. Italienische Websites sind ein Alptraum. Völlig unstrukturiert, unübersichtlich, grauenvoll! Aber das gibt genug Stoff für einen eigenen Post…
Mit Mühe fand ich dann doch auf dieser Website eine Suchmaschine für Schulen. Das Ding war sehr umständlich: Man konnte sich durch eine nach Stadteilen geordnete Liste an Grundschulen wühlen und diejenigen Schulen markieren, über die man mehr Infos wollte. Die Liste war natürlich endlos und immer wenn man ca. 20 Schulen markiert hatte, ging es nicht mehr weiter. Man konnte dann die Adressinfos dieser markierten Schulen sehen und danach musste man wieder von vorne anfangen: Zurück zu endlosen Liste, runterscrollen bis zur zuletzt markierten der Schule, wieder neue Schulen markieren. Uff. Das hat mich tagelang beschäftigt. Über die Schulen bekam ich nicht so viel heraus. Einige hatten Webseiten. Die kamen in die engere Wahl. Auf den Websites der Schulen konnte man nach vielen, vielen Klicks durch schlecht leserliche Datenwüsten (z.B. in gelber Schreibschrift auf rosa Hintergrund) das Bildungsprogramm der Schule finden, den P.O.F. (Piano Offerta Formativa). Das waren dann wieder ca. 100 Seiten an wirren Informationen und Orgien von abstrakten Erziehungsidealen, die mir auch nicht wirklich weiter halfen.

Schliesslich hatte ich eine Liste von ca. 20 Schulen in verschiedenen Vierteln in Rom.
Parallel versuchte ich herauszufinden, wie die netten Stadtviertel heissen.
  • Parioli ist das schickste, hat aber keine gute Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel.
  • EUR ist beliebt bei Expats, weil dort auch die internationalen Firmen sind, liegt aber weit draussen.
  • Mitten im Centro Storico habe ich keine Schule gefunden und die Mieten sind zu hoch…
  • Trastevere ist natürlich sehr hipp, finde ich persönlich aber gar nicht so prickelnd.
  • Esquilino, das Muli-Kulti Viertel hinter dem Bahnhof hat bei den Italienern einen schlechten Ruf. Na, das klingt doch viel versprechend.

Dann habe ich rumtelefoniert und alle Schulen auf meiner Liste angerufen und versucht, Termine für meinen Besuch auszumachen. Der Erfolg war gemischt. Oft habe ich nur den Hausmeister erreicht, der mir immer sagte, ich sollte am Morgen anrufen. Am Morgen war dann aber die Professoressa, mit der ich sprechen sollte, auch wieder nicht da.
Schliesslich hatte ich trotzdem einen groben Zeitplan, wann ungefähr ich zu welcher Schule gehen würde. Den Rest wollte ich improvisieren.

Montagmorgen ging es los: Ich hatte einen Termin mit einer Signora an der Ruggero Bonghi Schule, in dem Viertel zwischen Colosseum und Bahnhof. Ich kam pünktlich um 9 Uhr an und alle freuten sich, dass ich dem Cliché von der Schweizer Pünktlichkeit entsprach.
Ich hatte ein nettes Gespräch mit der Signora, die mir auch die Schule zeigte. Die Schule war alt und ein wenig heruntergekommen, aber ich hatte einen guten Eindruck. Ausserdem versprach mir die Frau, Klassen mit wenigen Kindern für meine Jungs. Zufrieden nahm ich gleich mal die Einschreibungsformulare mit.

 



 

Nachdem Gespräch beobachtete ich noch ein wenig die Eltern, die ihre Kinder noch in die Schule brachten und machte einen Spaziergang in der Umgebung. Gleich hinter der Schule ist diese Treppe. Dort stand ich und hatte dieses römische Gefühl.


Dann lief ich weiter und war bereit, in so ziemlich jedes der benachbarten Mietshäuser sofort einzuziehen. 

 

Als ich dann am Parco Traiano ankam und mich der Weg direkt auf’s Colosseum führte, war ich verliebt und musste euphorisch meinen Mann anrufen. 

 

Ich schwor, dass wir hier wohnen sollten und machte Fotos vom Viertel und von der Strasse hinter dem Park...


Noch heute kommt es mir wie ein Wunder vor, dass wir dann tatsächlich in die Via Mecenate gezogen sind. Ich muss einen privaten römischen Schutzengel haben. Aber auch dazu gibt es noch einen eigenen Post…

Trotzdem bin ich noch weiter gezogen und war auf einen Sprung in der Di Donato Schule, die noch mehr in Richtung Bahnhof im gleichen Viertel war. Ich wurde von einer stämmigen und resoluten Dame zur nächsten weiter gereicht und sagte überall mein Sprüchlein auf. Der Vorteil der Di Donato ist, dass sie sehr multikulti ist. Kinder, die nicht Italienisch als Muttersprache haben, sind hier eher die Regel als die Ausnahme. Leider waren die Klassen sehr gross und es gab keinen orario corto. Schade.

Ich sprang in den nächsten Bus nach Parioli und schaute kurz in die Alfierei Schule rein. Sah nett aus, die Schulleiterin winkte jedoch ab, weil sie zu voll wären.
Also weiter zur Principessa Mafalda in der Nähe. Eine Bekannte hatte mir erzählt, dass die Schule einen guten Ruf hatte. Auch hier nahm man mich freundlich auf und hat sich länger mit mir unterhalten und mir sogar angeboten, mir eine Liste von Büchern für Emilio zu geben. Aber die Klassen waren sehr gross und im Grunde fand ich Parioli doch eher langweilig. Und mal ehrlich, kann man zwei Jungs auf eine Schule schicken die Principessa Mafalda heisst?


Ich war eigentlich schon ziemlich müde, aber weil es auf dem Weg lag, habe ich mir noch die Regina Margeritha angeschaut. Ich schlich durch die Gäng, auf der Suche nach einem Sekretariat und war geschockt. Der Stuck fiel von den Wänden und in manchen Ecken waren die Decken mit Baugerüsten abgestützt. Schnell raus hier!

Also auf in den nächsten Bus und die endlose via Nomentana hinter dem Bahnhof rauf. Im Sekretariat der Asmara Schule war noch eine Frau anwesend und irgendwie konnte ich nicht wirklich interessante Informationen herauskriegen. Auch das Viertel fand ich ziemlich trist. Abgehakt.

Mit letzter Kraft schleppte ich mich noch in diese englisch-italienischen Privatschule, die eigentlich keinen Platz mehr hatte, aber da ich schon da war, konnte ich ja wenigstens mal reinschauen.
Der Kontrast zu den ganzen heruntergekommen öffentlichen Schulen hätte nicht krasser sein können. Ein Innenhof mit einem wunderschönen Park, englischem Rasen, Palmen, hübsche saubere Gebäude, edel gekleidete Eltern, oh, well. Das Viertel bleibt hässlich und schliesslich wollen wir ja die authentische Italienerfahrung.

An dieser Stelle muss ich noch zur Ehrenrettung des römischen öffentlichen Verkehrs beitragen: Während meines Zickzacks durch die Stadt kam ich nie zu spät und habe alle Schulen gut erreicht.

Am zweiten Tag habe ich mir noch vier Schulen angeschaut, die alle mehr oder weniger deprimierend und heruntergekommen waren. Die Schlimmste überhaupt habe ich in der Nähe der Piazza Bologna gefunden. Da am Eingang niemand war und ich auch keinen Termin hatte, bin ich einfach rein gegangen und habe mich umgeschaut. In den Ecken staute sich der Schmutz, die Toiletten hatten keine Türen. Es war wirklich schlimm.

Am Ende dieses Tages war ich so müde, dass ich kaum die Gabel halten konnte, um meine Spaghetti zu essen. „Ma, sei cotta!“ meinte der freundliche Kellner zu recht und konnte mich nicht einmal mehr zu einem Tiramisu überreden. Und das passiert mir sonst nie.

Am letzten Morgen sass ich (ver)zweifelnd auf meinem Bett und liess meine Notizen und Eindrücke Revue passieren. Sollten wir unseren Kindern wirklich so ein Abenteuer antun? Vielleicht ist es in der Nähe von Chinatown doch zu wild? Was ist, wenn wir jetzt keine Wohnung in der Nähe der Schule finden?

Aber dann habe ich einen leckeren Cappucino getrunken und bin ich zu der Schule gefahren, die ich zuerst besucht hatte und habe die Jungs eingeschrieben.
Weil ich dann noch Zeit hatte und immer noch neugierig war, bin ich halt doch noch zu einer Schule hinter dem Vatikan gefahren. Das war definitiv die Abschreckenste. Von aussen sah sie aus wie ein Gefängnis.


In einem winzigen, chaotisch voll gestopften Büro fand ich eine ungepflegte Frau, die mir etwas über die Schule erzählen sollte. Während ich sie nach der Zahl der Englischstunden fragte, fing sie an, eine Zigarette zu rauchen. Danke für das Gespräch!

Ich setzte mich auf die Stufen am Eingang der Schule in die Sonne, faltete meine Notizen zusammen und beschloss, auf dem Campo dei Fiori Mittagzuessen. Viva Italia!

Möge die neue Regierung das Budget für die öffentlichen Schulen erhöhen.

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